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Stefan H.E. Kaufmann

Thursday, 18 November at 18:00 in the Print Media Academy, Kurfürstenanlage 52-60, Heidelberg

Mit freundlicher Unterstützung der Manfred Lautenschläger Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Alternsforschung

Stefan H. E. Kaufmann, Max Planck Institute for Infection Biology, Berlin

Pandemien: Über empfundene und reale Bedrohungen

Zusammenfassung

Der Sieg über die Infektionskrankheiten wurde schon häufig ausgerufen – jedes Mal wurde die Hoffnung jedoch widerlegt. Höchste Aufmerksamkeit erzielen Pandemien, d. h. neu aufkeimende Krankheiten, die sich rasch über unseren Globus ausbreiten. HIV/AIDS ist ein Beispiel, das uns das Fürchten gelehrt hat. Bei der Schweinegrippe H1N1 sind wir mit einem blauen Auge davon gekommen.

Manche Infektionskrankheiten werden kaum beachtet, da sie schon immer da waren. Ein Beispiel hierfür ist die Tuberkulose, die mit HIV/AIDS zu den tödlichsten Bedrohungen zählt. Sie war aber von Anfang an ein Begleiter der Menschheit, so dass man sich daran schon fast gewöhnt hat. Dabei sind über 2 Milliarden Menschen, also etwa ein Drittel der Weltbevölkerung, mit dem Erreger infiziert. Jedes Jahr sind es 10 Millionen neue Tuberkulosefälle, die für ein Viertel der Erkrankten tödlich enden. Bei der großen Mehrheit der Infizierten wird der Erreger aber von der körpereigenen Abwehr in Schach gehalten. Erst wenn die Immunabwehr schwächer wird, kommt es zum Krankheitsausbruch.

Zwar haben wir Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose, die Zahl der multiresistenten Infektionen nimmt aber zu. Heute leben 50 Millionen Menschen mit sogenannten multiresistenten Erregern, die nur schwer zu behandeln sind. Einige leiden sogar unter sogenannter extensiv resistenter Tuberkulose, die so gut wie nicht mehr behandelbar ist. Auch ein Impfstoff steht uns zur Verfügung: bacille Calmette-Guérin (BCG). Dieser verhindert allerdings nur heftig verlaufende Tuberkulosefälle bei Kleinkindern. Gegen die häufigste Krankheitsform, die Lungentuberkulose des Erwachsenen, ist er machtlos. Mittel- und längerfristig brauchen wir daher neue Medikamente und Impfstoffe gegen die Tuberkulose. In unserem Labor haben wir einen rekombinanten BCG-Impfstoff entwickelt, der sich in vorklinischen Studien als äußerst wirkungsvoll und sicher erwies und derzeit in einer klinischen Studie getestet wird. Allerdings ist die klinische Testung von Impfstoffen bei der Tuberkulose außerordentlich zeitaufwendig. Eine Möglichkeit zur Abkürzung könnten Biomarker bieten, die den klinischen Endpunkt einer Impfstudie, also den Krankheitsausbruch bzw. dessen Verhinderung, voraussagen können. Mit finanzieller Unterstützung der Bill und Melinda Gates Stiftung versucht unser Team derzeit mit zahlreichen Partnern in Afrika, Biomarker zum Schutz gegen die Tuberkulose zu identifizieren.

Die Forschung im Bereich der Tuberkulose hat zwar in den letzten Jahren zugenommen. Sie ist aber noch schwach und muss gestärkt werden, wenn wir den Rückstand aufgrund der sträflichen Vernachlässigung von Forschung und Entwicklung im letzten Viertel des letzten Jahrhunderts aufholen wollen. Derzeit wird weltweit ca. eine halbe Milliarde US $ im Jahr für die Forschung und Entwicklung von Tuberkulose aufgebracht. Nötig sind aber mindestens 2 Milliarden US $ jährlich, wenn wir das ehrgeizige Ziel erreichen wollen, bis 2050 die Tuberkulose zu eliminieren (also weniger als ein neuer Fall pro 1 Million Einwohner). Finanziell würde sich das lohnen, denn jährlich verschlingt die Tuberkulose etwa 20 Milliarden US $. 

Biographie

Gründungsdirektor und Direktor der Abteilung für Immunologie des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin. Professor für Mikrobiologie und Infektiologie an der Charité, Humboldt-Universität, Berlin, und Honorarprofessor am Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Freie Universität Berlin. Geboren 1948 in Ludwigshafen am Rhein. Studium der Biologie an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz, 1977 Promotion (summa cum laude). Von 1987 bis 1991 Professor für Medizinische Mikrobiologie und Immunologie und von 1991 bis 1998 Ordinarius für Immunologie an der Universität Ulm. Alterspräsident der Europäischen Föderation Immunologischer Gesellschaften (EFIS) ab 2009. Präsident der Internationalen Union Immunologischer Gesellschaften (IUIS) ab 2010. Altpräsident und Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Forschungsinteressen: Immunantwort gegen bakterielle Krankheitserreger mit Schwerpunkt auf Tuberkulose und rationale Impfstoffentwicklung. Mitglied des Beirats von GAVI Allianz (Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung) als alternierender Repräsentant wissenschaftlicher und technischer Institute. Initiator des Day of Immunology zur Stärkung des öffentlichen Interesses an Immunologie. Zahlreiche Wissenschaftspreise (u. a. A. Krupp-Förderpreis für junge Hochschullehrer 1987, Aronson-Preis des Landes Berlin 1988, Förderpreis (1983) und Hauptpreis (1993) der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie). Doctor Honoris Causa der Université de la Mediterranée, Aix-Marseille II. Koordinator zahlreicher internationaler und interdisziplinärer Forschungsprojekte, z. B. Grand Challenge 6 der Bill und Melinda Gates Stiftung. Mehr als 600 Publikationen, meist in hochrangigen Zeitschriften. Gehört zu den meist zitierten Immunologen weltweit (ISI Thomson). Mitglied zahlreicher Gesellschaften, u. a. Deutsche Gesellschaft für Immunologie, American Academy of Microbiology, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina.

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